Montag, 9. November 2009

One World - Bemerkungen zu dem Buch von Peter Singer

Peter Singer wollte mit seinem 2002 erschienen Buch „One World“ eine Ethik der Globalisierung schreiben. Er gilt als einer der umstrittensten, aber auch der einflussreichsten Philosophen englischer Sprache der Gegenwart. Sich mit ihm zu beschäftigen, lohnt sich.

Singer will, wie er im Vorwort zur ersten Auflage seines Buches schreibt, die zunehmende Verflechtung (interconnectedness) des Lebens auf unserem Planeten beschreiben und in einem zweiten Schritt ein Rezept (prescription) für eine neue Grundlage unseres Denkens anbieten.

Singer versucht nicht, den viel gebrauchten Begriff der Globalisierung zu definieren, sondern erwähnt Beispiele für den globalen Wandel, den wir erleben – von der globalisierten Wirtschaft über den Klimawandel bis zu humanitären Interventionen und dem Kampf gegen globalen Terrorismus. Er erwartet, dass die neue Interdependenz die materielle Basis für eine neue Ethik liefert. Wenn die Revolutionierung der Nachrichtenverbindungen ein „globales Auditorium“ schaffe, könnten wir uns gedrängt fühlen, unser Verhalten gegenüber der ganzen Welt zu rechtfertigen. Letztlich postuliert Singer die Bildung einer Weltgemeinschaft, die an die Stelle der Staaten treten soll. Er zeigt zwar einige Ansätze dafür, aber es gelingt ihm nicht, die tiefe Kluft zwischen dem Verhalten der Staaten und ihrer Ersetzung durch eine Weltgemeinschaft zu überbrücken.

Allerdings gelingt es Singer, zu zeigen, dass das System souveräner Staaten nicht geeignet ist, die globalen Probleme zu lösen: Auf wirtschaftlichem Gebiet ist die Souveränität der Staaten tatsächlich durch die neue Beweglichkeit des Kapitals eingeschränkt. Die Staaten müssen ihre Politik darauf ausrichten, dem Kapital günstige Bedingungen anzubieten, um das vorhandene Kapital festzuhalten und neues anzuziehen. Die Finanzkrise der letzten Jahre, die Singer nicht voraussehen konnte, hat aber gezeigt, dass der freie Markt keineswegs ein sich selbst steuerndes stabiles System bildet, sondern für Krisen anfällig ist, die sich mit rasender Geschwindigkeit ausbreiten. Kein einzelner Staat kann sie bewältigen. Nur weltweit geltende Regeln könnten einen gewissen Schutz bieten. Ob es gelingen wird, solche Regeln zu entwickeln und ob sich die Staaten darauf einigen können, ist immer noch eine offene Frage.

In dem Kapitel „One Law“ will Singer zeigen, dass die staatliche Souveränität den Regierungen nicht das Recht gibt, mit ihrer eigenen Bevölkerung nach Belieben zu verfahren. Völkermord und Verbrechen gegen die Menschheit sind durch internationale Abkommen verboten. Diese Verbote müssen auch durch Intervention durchgesetzt werden. Dies ist in einigen Fällen auch geschehen, in anderen – z. B. in Ruanda – nicht. Es besteht ein doppeltes Problem: Wie ist zu verhindern, dass humanitäre Gründe nur als Vorwand benützt werden, um eine Intervention zu rechtfertigen? Wie können die Staaten dazu bewogen werden, Streitkräfte und finanzielle Mittel für eine humanitäre Intervention in einem Land bereitzustellen, in dem sie keine anderen Interessen haben?

Auf einer anderen Ebene liegt ein Problem, das Singer unter der Überschrift „One Atmosphere“ behandelt. Er stellt in diesem Kapitel die Gefährdung der Atmosphäre durch die enorm gesteigerte Emission von Treibhausgasen dar. Es geht aber nicht nur um das Klima, sondern um das Erdsystem als ganzes, von dessen Bewahrung die Lebensbedingungen für die Menschheit abhängen. Dass der Mensch durch Wissenschaft und Technik die Fähigkeit erworben hat, das Erdsystem zu stören und sogar zu zerstören, ist etwas Neues in der Geschichte, das uns zwingt, unser Verhalten zu ändern. Daraus ergibt sich der stärkste Impuls für die Entwicklung einer neuen Ethik. Hans Jonas, den Singer nicht zitiert, hat in seinem Buch „Das Prinzip Verantwortung“ einen Versuch einer Ethik für die technische Zivilisation vorgelegt. Er liefert eine feste Grundlage für diese Ethik, die man bei Singer vermisst.

Singers Rezept einer Weltgemeinschaft hat vor allem zwei Schwächen:
- Er begründet nicht, warum jeder Einzelne sich künftig mit der Weltgemeinschaft und nicht mit dem eigenen Staat identifizieren, und warum er sich für sie verantwortlich fühlen sollte. Jonas liefert diese Begründung. Sie ergibt sich aus seinem Imperativ „Handle so, dass die Wirkung deiner Handlung verträglich ist mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“.
- Singer zeigt auch weder einen praktischen Weg zu der postulierten Weltgemeinschaft, noch beschreibt er ihre mögliche Struktur.

Dagegen bietet die Weiterentwicklung des Rechts die Möglichkeit, die Souveränität der Staaten schrittweise einzuschränken und die Lebensbedingungen der Menschheit zu schützen. Dadurch wird die Verbindung zwischen Recht und Ethik, die früher durch das Naturrecht gegeben war wieder hergestellt. Es sind vor allem zwei ethische Prinzipien, an die das Recht gebunden ist: Die Würde des einzelnen Menschen, aus der sich die Menschenrechte ergeben, und, damit eng verbunden, die Pflicht zur Bewahrung der Lebensbedingungen der Menschheit entsprechend dem von Jonas entwickelten Imperativ. Die rechtlichen Regeln, die auf diesem Imperativ beruhen, könnte man „Überlebensrecht“ nennen. Dazu gehören die Regeln zum Schutz der Atmosphäre und anderer gemeinsamer Güter, wie dem Wasser. Dazu gehört aber auch die Abschaffung von Waffen, durch deren Einsatz die Lebensbedingungen gefährdet würden, wie die Kernwaffen.

In meinem Essay „Überlebensrecht“ habe ich das näher ausgeführt.